Sonderseiten zu Corona

Gespräch mit Susanne Fairlie-Schade, 21. April 2020

Die Zahl der Schuldner*innen wird dramatisch wachsen

Dr. jur. Susanne Fairlie-Schade
Dr. jur. Susanne Fairlie-Schade

Susanne, die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin e. V. (LAG SIB) ist Mitglied in der Landesarmutskonferenz Berlin. Du leitest die Geschäftsstelle. Was sind Eure Aufgaben?

 

In der LAG SIB haben sich die gemeinnützigen und staatlich anerkannten Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in Berlin zusammengeschlossen.

 

In die Schuldnerberatung kommen Menschen, die in finanzielle Schieflage geraten sind. Meist haben sie plötzlich ihren Arbeitsplatz verloren, sind erkrankt oder haben eine Trennung hinter sich. Unsere Beratung ist kostenfrei und natürlich streng vertraulich. Uns geht es darum, Betroffenen nachhaltig zu helfen. Daher reicht es nicht aus, alle Gläubiger aufzulisten und Forderungen einzusammeln. Wir versuchen immer, konkrete Wege aus den Schulden aufzuzeigen. Und dazu gehört im Regelfall eine umfassende psychosoziale Betreuung. Damit Menschen erst gar nicht in die Schuldenfalle tappen, haben wir dazu wirksame Präventionsangebote entwickelt. Für diese fehlt aber leider häufig die Zeit.

 

Viele Menschen befürchten derzeit, ihren Job, ihr Einkommen und als Selbstständige ihre finanzielle Existenz zu verlieren. Gibt es bereits einen erhöhten Beratungsbedarf? 

Schon vor der Corona-Krise war in Berlin jede achte erwachsene Person überschuldet. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung des COVID 19-Virus erhalten viele Menschen plötzlich nur noch 60 % bzw. 67 % ihres Nettogehaltes.

 

Das sind die gesetzlichen Regelungen zur Kurzarbeit ... 

Ja, das stimmt. Andere bangen ganz um ihren Job, sei es, weil das Geschäft wegbricht oder die Kinderbetreuung nicht mehr gewährleistet ist und die Großeltern als Unterstützung ausfallen. 

Zwar wurde von staatlicher Seite aus viel getan, etwa der erleichterte Zugang zu vielen Sozialleistungen. Dazu kommen gesetzliche Regelungen zum möglichen Aufschub von wichtigen Zahlungen wie Miete und Strom. Dennoch werden viele Haushalte empfindliche Einkommenseinbußen erleiden. Und das hat Folgen in der Zukunft: Die Rechnungen müssen ja irgendwann bezahlt werden! Nicht alle kriegen das hin. Schulden häufen sich über die Monate an, wenn gleichzeitig die Einnahmen fehlen. Unser Eindruck ist, dass die Menschen derzeit noch in einer gewissen „Schockstarre“ verharren. Viele können noch nicht überblicken, wie sich die kommenden Wochen und Monate ökonomisch entwickeln werden. Die Hoffnung stirbt ja meist zuletzt .... 

 

Existenzsicherung, Schuldner-Schutz und Schulden-Regulierung – das sind Eure Aufgaben. Wie nehmt Ihre diese wahr?

Auch wir können derzeit viele Dinge nur übers Telefon oder auf schriftlichem Weg per Mail oder Post lösen. Das gilt auch für die Ratsuchenden: Durch den plötzlichen Stillstand des öffentlichen Lebens ist der Schutz vor Pfändungen und die konkrete Beantragung von Sozialleistungen oder anderen Hilfen ganz praktisch erschwert. Arbeits- und Sozialämter, Jobcenter – überall gibt es für den Personenverkehr nur eingeschränkte Angebote. In ihrer Not wenden sich die Betroffenen vermehrt an die Schuldnerberatung. 

 

Aber die sind ja auch geschlossen, oder? 

Ja, die Kontakt- und Betretungsverbote gelten auch für unsere Beratungsstellen. Unsere Herausforderung ist es ebenfalls, unter diesen Umständen die Ratsuchenden trotzdem bestmöglich zu beraten und zu unterstützen. Aber: Die Schuldnerberatungsstellen sind weiterhin da und beraten zumindest telefonisch und per E-Mail.

 

Was müsste getan werden, um Euch und Eure Arbeit in Zukunft besser zu unterstützen? 

Grundsätzlich wünschen wir uns eine planungssichere Finanzierung unserer Arbeit und eine Berücksichtigung des steigenden Beratungsbedarfs in den kommenden Landeshaushalten. 

 

Ich nehme an, dass Ihr schnelle Antworten benötigt, um diese Arbeit leisten zu können?

Auch wenn die Krise in unseren Beratungsstellen erst zeitlich versetzt zu sehen sein wird, sie ist zu erwarten, ja. Daher ist vorausschauendes Handeln aus unserer Sicht sehr wichtig. 

 

Und es gibt noch einen weiteren Punkt: Wir haben feststellen müssen, dass Beschäftigte in der Schuldnerberatung nicht auf der aktuellen Übersicht über die systemrelevanten Bereiche für die Kita- und Schul-Notbetreuung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zu finden sind. Das kann aus unserer Sicht nicht sein. Daher werden wir uns als LAG unbedingt für eine entsprechende Erweiterung starkmachen.

 

Im Mai sollte Eure diesjährige Aktionswoche Schuldnerberatung stattfinden. Bleibt es dabei?

Den Berliner Fachtag mussten wir leider absagen. Trotzdem haben wir in der Woche vom 25. bis 29. Mai bundesweit einige andere Dinge geplant. Das Thema der Woche trägt den Titel: „Chancenlose Kinder? Gutes Aufwachsen trotz Überschuldung!“

 

Worum geht es?

Wir wollen an unserem Blick auf die Kinder festhalten, die in Haushalten mit wenigen finanziellen Ressourcen oder Schulden aufwachsen. Die aktuelle Krise bringt verstärkt hervor, wo die Probleme liegen: Durch die Schließungen von Kindergärten und Schulen fehlt diesen Familien das Unterstützungssystem. Ein Lernalltag, der digital organisiert wird, ist für alle nachteilig, deren technische Ausstattung zu Hause mangelhaft ist. Dazu kommen psychische Belastungen. Der soziale Rückzug kann in kleineren Wohnungen nach unseren Erfahrungen zu größeren Spannungen führen. Das sind nur einige Beispiele, wie Zukunftschancen für viele Kinder Stück für Stück begrenzt werden. Nur gemeinsam können und müssen wir größere Anstrengungen unternehmen, Benachteiligungen aufzuspüren, zu benennen und abzubauen.

 

Wir haben unsere Forderungen der Sozialen Schuldnerberatung und die geplanten Aktionen übrigens online gestellt. In den kommenden Tagen werden sich dort immer mehr Inhalte finden lassen: www.aktionswoche-schuldnerberatung.de 

 

Susanne, ich wünsche Euch weiterhin viel Erfolg für Eure Arbeit. 

Kirstin